Meinungsbildung

Wir alle haben sie, sowohl zu Dingen, von denen wir wirklich einiges an Ahnung haben, wie auch zu Themen, die uns reichlich fern sind. Gern wird sie mitgeteilt, auch immer wieder, obwohl gar nicht nach ihr gefragt wird. Und teilweise passiert dieses Mitteilen lautstark und vehement. Mal basiert sie auf tatsächlichen Fakten, mal werden Fakten so gar nicht bei ihr berücksichtigt und die Basis sind viel mehr Gefühle.

Es geht um unsere Meinung und wie diese eigentlich entsteht.

Was ist eine Meinung?

Fangen wir ganz grundlegend an mit der Definition von Meinung, denn schon daran scheitern gerne mal Diskussionen. Befragt man den Duden heißt es eine Meinung ist eine …

“persönliche Ansicht, Überzeugung, Einstellung o. Ä. die jemand in Bezug auf jemanden, etwas hat (und die sein Urteil bestimmt)“

Etwas psychologischer wird das Ganze, wenn man die Sozialpsychologie befragt. Hier zeigt sich, dass die Definition des Begriffs bisher noch nicht gänzlich vereinheitlicht wurde. Unterschieden werden können Meinungen, Einstellungen und Überzeugungen.

  • Meinung = eher kurzlebig, Urteil über aktuelle und für die Öffentlichkeit relevante Themen
  • Einstellung = zeitlich stabil(er), wenig(er) situationsabhängig
  • Überzeugung = Werteorientierung, zeitlich stabil(er), wenig(er) situationsabhängig

Und jetzt Achtung.

Achten wir noch mal genauer auf des Wörtchen „persönliche“ aus der Definition im Duden und führen diesen Aspekt mit dem zusammen, was sozialpsychologisch beschrieben wurde. Hier zeigt sich ein wichtiger Aspekt der Meinung.

Sie ist subjektiv und nicht zwingend überprüfbar.

Beispiel: „Meiner Meinung nach ist dieses Buch sehr spannend“

Für Dich kann das zutreffen und Du kannst vielleicht sogar scheinbar konkrete Gründe dafür nennen, wie eine spannende Handlung durch viele Cliffhanger, gut aufgebaute Charaktere, eine spannende Atmosphäre, …

Und? Fällt Dir was auf?

All das können scheinbar gute Argumente für die Aussage „Das Buch ist spannend“ sein und zugleich bleiben diese Einschätzungen alle subjektiv. Was für Dich ein Cliffhanger ist, ist es für jemand anderen nicht. Was für Dich eine spannende Handlung darstellt, findet jemand anderes total langweilig. Was Du als gut ausgearbeitete Charaktere empfindest, findet jemand anderes als oberflächlich geblieben.

Das Phänomen der Stabilität

Wenn Meinungen subjektiv sind, müssten sie theoretisch ja leicht veränderbar und flexibel sein, oder?

Falsch gedacht.

Meinungen sind spannenderweise oft sehr stabil und kaum flexibel. Warum das so ist, das schauen wir uns jetzt anhand einiger psychologischer Phänomene genauer an.

  1. Groupthinking
  2. Confirmation Bias
  3. Kognitive Dissonanz
  4. Status-Quo Bias
  5. Soziale Identität
  6. Belief Perseverance

Groupthinking

Menschen sind soziale Wesen, die sich gern in Gruppen zusammenschließen. Innerhalb dieser kann es zum Phänomen des Groupthinking kommen. Von William H. Whyte definiert, wird hiermit ein Mechanismus beschrieben, welcher vor allem auftreten kann, wenn Gruppen weitestgehend von äußeren Einflüssen abgeschnitten sind. Die Mitglieder der Gruppe nehmen einen normativ korrekten Standpunkt ein und werden zeitgleich immun gegenüber Kritik an diesem. Gegenteilige Ansichten werden ignoriert oder sogar durch feindseliges Verhalten beantwortet. Auch innerhalb der Gruppe werden keine anderen Ansichten und Argumente mehr toleriert. Somit steigt letztlich auch die Überzeugung der Gruppe über die eigene Unfehlbarkeit.

Beispiel:

In den sozialen Netzwerken werden viele Beiträge geteilt die zeigen, dass eine bestimmte Partei viel gewählt wird. Dadurch kann ein Gefühl von „Alle wählen diese Partei“ entstehen, was zu dem Schluss folgen kann „Ich sollte sie auch wählen, denn sie muss ja gut sein“. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Partei passiert nicht und weitere Phänomene können eintreten. Zum Beispiel der Confirmation Bias.

Confirmation Bias

Auch als Bestätigungsfehler bezeichnet beschreibt der Confirmation Bias, dass Informationen so interpretiert werden, dass sie in ein bereits bestehendes Meinungsbild passen. Fakten, die dieser Sicht widersprechen würden, werden ignoriert (so wie auch beim Groupthinking). Hierzu können bspw. Informationen auch bagatellisiert werden. Der Confirmation Bias kann auch dazu führen, dass nur noch Informationen gesucht werden, die die eigene Meinung weiter bestätigen. Kritische oder andersartige Argumente finden somit gar kein Gehör mehr.

Dieses Phänomen existiert unter anderem, weil unser Gehirn einfache Antworten bevorzugt. Dies kostet deutlich weniger Energie, als widersprüchliche Informationen zu verarbeiten. Zudem ist es einfacher in der eigenen Komfortzone zu verbleiben, als diese zu verlassen. Auch unser Ego spielt eine Rolle. Unser Selbstbild wird geschützt, da es unangenehm sein kann sich geirrt zu haben und dies zuzugeben. Wie auch beim Groupthinking führen auch soziale Dynamiken dazu, dass Bestätigung unserer Überzeugung gestärkt wird, was zu Filterblasen und Echokammern führen kann.

Beispiel:

Beim Sport glauben Fans einer Mannschaft eher, dass der Schiedsrichter unfair gegenüber dieser entscheidet, wohingegen Fehlentscheidungen, die dem eigenen Team zum Vorteil sind ignoriert werden.

Kognitive Dissonanz

Werden wir mit Informationen konfrontiert, die unserer Meinung widersprechen, kann das ein unangenehmes Gefühl in uns auslösen. Dieses Konzept wird als kognitive Dissonanz beschrieben. Um das aufkommende Unbehagen zu reduzieren werden Informationen wieder ignoriert oder ihre Interpretation wird so angepasst, dass sie in das eigene Meinungsbild passt.

Ziel dieses Phänomens ist es Konsistenz zu schaffen, denn Widersprüche sind unangenehm. So ist es notwendig unser Handeln mit unserem Selbstbild in Einklang zu bringen. Ist die nicht möglich, bleibt zum Selbstschutz oft nur das Ignorieren oder Anpassen von Informationen, die zu unserem Unbehagen führten.

Beispiel:

Du bist überzeugt davon Tiere zu lieben, isst zugleich aber auch Fleisch. Dies widerspricht sich und führt zu Dissonanz. Lösungen wären eine Anpassung des Verhaltens (kein Fleisch mehr essen), die Anpassung deiner Überzeugung (Den Tieren ging es auf dem Bauernhof gut und sie wurden nicht unter Qualen geschlachtet) oder Vermeidung (nicht mehr über Fleischproduktion nachdenken). Warum Vermeidung ein oft gewähltes Mittel ist, kann unter anderem der Status-Quo Bias erklären.

Status-Quo Bias

Bekanntes zu bevorzugen und Veränderungen zu vermeiden, selbst wenn es rationale und objektive Gründe dafür gibt, zählt zu einem weiteren Phänomen, das Du sicher auch von Dir kennst. Gewohnte Situationen vermitteln Sicherheit, wohingegen Veränderungen mit Risiko und Unvorhersehbarkeit verbunden werden. Um Veränderungen herbeizuführen benötigt es zudem Ressourcen wie Zeit und Energie, z. B. um notwendige Informationen zu beschaffen oder Optionen abzuwägen. Bleibt man einfach beim Status Quo, reduziert sich der mentale Aufwand. Nicht zuletzt kann Verlustaversion eine beeinflussende Rolle spielen. Verluste wiegen schwerer als gleichwertige Gewinne, wobei bereits ein unsicherer Ausgang als Verlust beurteilt werden kann.

Beispiel:

Wähler:innen einer Partei neigen dazu, diese Wahl beizubehalten, auch wenn sich die politische Landschaft verändert. Es ist schlichtweg bequemer und fühlt sich sicherer an, man weiß (so der Glaube) was man bekommt.

Soziale Identität

Das Konzept der Sozialen Identität aus der Sozialpsychologie beschreibt, dass Menschen ihr Selbstbild und ihre Zugehörigkeit bezogen auf bestimmte soziale Gruppen definieren. Diese Identität kann einen starken Einfluss auf die Meinungsbildung haben, weil sie das Denk- und Entscheidungsverhalten maßgeblich und zugleich unbewusst steuern kann. Meinung steht oft im Einklang mit den Normen und Überzeugungen der Gruppe, derer sich eine Person zugehörig fühlt. So treten Effekte wie der zuvor beschriebene Confirmation Bias oder Groupthinking auf. Die Entstehung und Aufrechterhaltung von Konformität innerhalb der Gruppe, Vorurteilen gegenüber anderen Gruppen und die Entstehung von Feindbildern können negative Aspekte dieses Konzeptes darstellen.

Beispiel:

Ein Fan einer Musikerin oder eines Musikers fühlt sich als Teil der Fangemeinde und seine/ihre Zugehörigkeit wird durch gemeinsame Erlebnisse (z. B. den Besuch von Konzerten) geprägt. Der Fangemeinschaft werden bestimmte Eigenschaften zugesprochen (Herzlichkeit, Toleranz, unterstützend, …), sodass sich auch die Fanperson mit diesen identifiziert. Übt nun jemand Kritik an dem Musiker oder der Musikerin, wird diese Person zum Feindbild der Fangemeinschaft.

Belief Perseverance

Aus den zuvor beschriebenen Phänomenen entsteht unter anderem Belief Perseverance oder auch Glaubensbeharrlichkeit. Trotz klarer Gegenbeweise halten Menschen an ihrer Meinung fest. Dieses Vorgehen ist oft einfacher und weniger schmerzhaft. Zudem vermittelt das Festhalten an bisherigen Meinungen Sicherheit, da es sich vertraut anfühlt, selbst wenn es sehr gute Gründe für eine Anpassung gibt.

Diskussionen die ins Leere führen

Ein Aspekt, der uns sicher allen bereits begegnet ist, sind daher ins Leere laufende Diskussionen, verhärtete Fronten, Wut und Unverständnis für unser Gegenüber. „Wie kannst Du nur xy sagen und denken?“, „Ich zeige Dir doch gerade anhand von Fakten xy, wie kannst Du trotzdem noch Deiner Meinung sein?“.

Hier zeigt sich …

… Menschen diskutieren nicht immer, um die Wahrheit zu finden, sondern um ihre eigene Meinung zu verteidigen.

Fakten allein reichen selten aus, weil Emotionen und Identität oft eine größere Rolle spielen. Je tiefer eine Meinung mit Identität und Emotionen verknüpft ist, desto schwieriger ist es, sie zu ändern.

Gibt es dafür eine Lösung?

Ja! Damit Diskussionen nicht ins Leere laufen, können folgende Dinge helfen:

  1. Gemeinsame Werte finden – Statt „Du hast Unrecht!“ lieber sagen: „Wir wollen doch beide eine spannende Geschichte genießen, oder?“
  2. Offene Fragen stellen – „Was hat dich an diesem Buch so begeistert?“
  3. Zuhören statt Überzeugen – Wenn sich jemand gehört fühlt, ist er eher bereit, seine Meinung zu überdenken.

Gleichzeitig gilt es zu verstehen, dass ein Gegenüber bereit sein muss sich mit anderen vielleicht neuen Ansichten, Informationen und Gedanken auseinander zu setzen. Je reflektierter und offener wir also gegenüber anderen Ansichten sind, je offener wir uns selbst ehrlich hinterfragen, umso eher können Diskussionen offen und vielleicht für alle Beteiligten überraschend bereichernd verlaufen. Also nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen, sondern frage auch Dich selbst, ob Du offen und bereit für andere Ansichten bist.

Und sind wir ehrlich: Wir haben alle schon zig fach unsere Meinungen geändert. 😉

Insight Lisa

Im Rahmen der Bundestagswahl 2025 letzten Sonntag habe ich ein paar politische Diskussionen mit Menschen geführt, die eine bestimmte Extrempartei unterstützen und ehrlich gesagt war das ziemlich frustrierend. Mal ganz davon abgesehen, dass ich erkennen konnte wie wenig Relevanz Fakten haben, fällt es auch mir selbst schwer in solchen Diskussionen nicht emotional zu werden, wenn mein Gegenüber so weit entfernt von meinen eigenen Wertvorstellungen ist, dass Universen dazwischen liegen. Diese Diskussionen verliefen somit ins Leere und frustrierten mich einfach nur. Und sie machten mich wütend. „Wie kann man nur SO denken“, fluchte ich innerlich (auch als Psychologin sind mir manchmal psychologische Phänomene zwar bekannt, aber in einem bestimmten Momenten irrelevant ^^).

Aber auch andersherum haben sich Menschen an mir abgearbeitet.

Zum Beispiel bei Diskussionen darüber, ob man Kleinstparteien wählen sollte oder nicht. Im Rahmen einer dieser Diskussionen wiederholte mein Gegenüber immer und immer wieder das gleiche Argument and guess what: Ich habe es absolut nachvollziehen können, weil es stimmte. Gleichzeitig wogen für mich persönlich meine Argumente mehr und je länger mein Gegenüber versuchte mich vom Gegenteil zu überzeugen, umso stärker hielt ich an meiner Meinung fest. Ich denke, das war für die Person auch frustrierend, die wiederum auch bei ihrer Sichtweise blieb.

So zeigt sich: Wir alle unterliegen solchen Denkmechanismen. Wenn wir uns dessen allerdings bewusst sind und uns selbst reflektieren, können wir bewusster mit Meinungen umgehen. Es kann sich also lohnen sich zu fragen „Warum denke ich so und was ist, wenn ich mich irre?“.

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